Stellungnahme zur Beschlussvorlage “Zielszenarien Klimaneutralität” als Teil des Essener Klimakonzepts SECAP

Essen, 22. August 2021

„Wenn wir unsere Kräfte jetzt bündeln, können wir die Katastrophe abwenden“, mit diesen Worten hat UN-Generalsekretär António Guterres Politiker*innen weltweit aufgefordert, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Es gebe keinen Raum mehr für Verzögerungen. Das Leben von Milliarden Menschen stehe auf dem Spiel. Was das bedeutet, ist in diesem Sommer greifbar geworden – auch in Nordrhein-Westfalen.

Am 25. August 2021 entscheidet der Rat der Stadt Essen über die Ausrichtung der Essener Klimapolitik und des beauftragten Klimakonzepts. Wir – die Bürger*inneninitiative KlimaEntscheid Essen – erwarten eine verantwortungsvolle Entscheidung. Wir hoffen, dass die Ratsfrauen und -herren sich von António Guterres angesprochen fühlen, die Bilder aus dem Ahrtal und von der griechischen Insel Euböa vor Augen haben und den 6. IPCC-Berichts lesen. 

So empfehlen wir den Politiker*innen dringend, sich zur Vorbereitung der Jahrhundertentscheidung nicht auf die Lektüre der Beschlussvorlage “Zielszenarien Klimaneutralität” zu beschränken, die die Essener Verwaltung als Teil des „SECAP” mit Zeitverzug vorgelegt hat. Denn diese taugt in jetziger Ausführung noch immer nicht als Entscheidungsgrundlage.

Vorweg: Wir begrüßen den Strategiewechsel – die Verwaltung plant neuerdings  mit einem CO2e-Budget. Das Budget leitet sie aus den Zielen des Pariser Abkommens ab. Demnach darf Essen nur noch eine bestimmte Menge Treibhausgase ausstoßen, um zur Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius bzw. 1,75 Grad Celsius Erderwärmung beizutragen.

Aus der Beschlussvorlage geht hervor, dass die Restmengen annähernd mit den Zieljahren 2030 und 2040 einhergehen. Das bisherige Zieljahr 2050 ist nicht haltbar. Dabei hatte der Rat der Stadt Essen das Ziel 2050 noch vor einem Jahr bestätigt. Damals war der KlimaEntscheid gegen den fahrlässigen Beschluss per Bürger*innenbegehren vorgegangen. 

Jetzt droht erneut eine Fehlentscheidung, denn 2040 ist ebenfalls fahrlässig. Diese Erkenntnis geht aus der aktuellen Verwaltungsunterlage jedoch nicht hervor. Konkret ergeben sich zwei schwerwiegende Kritikpunkte:

  1. Fehlende Einordnung der Zielszenarien 

Die Stadt verzichtet auf relevanten Kontext, der den Mitgliedern des Rats der Stadt Essen erst eine verantwortbare Entscheidung ermöglicht. So stimmt die Vorlage nur oberflächlich mit dem Pariser Abkommen überein. Zwar gibt die Vereinbarung von 2015 tatsächlich eine Begrenzung auf 1,5 Grad Celsius bzw. deutlich unter 2 Grad Celsius vor.

Allerdings: Die unkommentierte Nebeneinanderstellung der Temperaturangaben suggeriert eine Wahlfreiheit, die es nicht gibt. “Holding the increase in the global average temperature to well below 2°C above pre-industrial levels and pursuing efforts to limit the temperature increase to 1.5°C above pre-industrial levels, recognizing that this would significantly reduce the risks and impacts of climate change”. 197 Staaten haben sich mit diesem Wortlaut 2015 verpflichtet Maßnahmen zur Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu ergreifen. Von einem Entweder-Oder ist nicht die Rede.

Tatsächlich besteht kein Anlass, sich mehr Spielraum zu verschaffen. Entscheidet sich der Rat für das Klimaziel 1,75 Grad Celsius bzw. 2040, wird Essen das Pariser Abkommen kaum einhalten können.

Zudem bekräftigt der 6. Klimabericht des IPCC ganz aktuell, dass ein Verfehlen des 1,5-Grad-Ziels irreversible Folgen nach sich ziehen wird. Wie verheerend diese ausfallen würden, machen Flut- und Hitzerekorde derzeit vorstellbar. Klar ist: Jede weitere Erwärmung riskiert Menschenleben sowie wirtschaftliche Schäden in Milliardenhöhe. 

  1. Unvollständige Kostenanalyserechnungen

Der Beschlussvorlage fehlt nach wie vor die beauftragte und für Juli 2021 zugesagte vollständige Kostenanalyse zur Einschätzung der finanziellen Be- und Entlastung durch die skizzierten Zielpfade. Dabei gilt eine Kostenvergleichsrechnung als Teilvoraussetzung für eine fundierte Entscheidung. 

Statt eines Gesamtbildes bietet die Stadt jedoch bislang lediglich erste Fragmente. Diese wiederum zeigen bereits: Frühere Klimaneutralität kommt unterm Strich finanziell deutlich günstiger als späte Klimaneutralität. So würden die durch einen 1,5-Grad-Kurs vermeidbaren Kosten den Großteil der dafür notwendigen Investitionen kompensieren. Spätere Klimaneutralität würde entsprechend um einige Milliarden Euro teurer.

Die vorläufige Ausarbeitung der Stadt leitet den Kostenvorteil klar her: Eine geringere Erderwärmung begrenzt Umweltschäden um Milliardenbeträge. Klimaanpassungskosten fallen geringer aus, der steigende CO2-Preis fällt weniger ins Gewicht. Zudem ist mit direkten und indirekten Einnahmen durch Förderprogramme, z. B. im Energie- und Gebäudebereich zu rechnen. Unerwähnt bleiben vermeidbare Belastungen etwa des Gesundheitssystems sowie indirekte Kosten für Unternehmen und von Klimafolgen betroffenen Bürger*innen. Dennoch bestätigt die Rechnung der Verwaltung bereits jetzt die These, die der KlimaEntscheid von Beginn an vermittelt: Klimaneutralität bis 2030 ist deutlich günstiger als spätere Klimaneutralität. 

Die zu erwartende Mehrbelastung nicht mit allen Mitteln zu verhindern, wäre volkswirtschaftlich nicht zu verantworten und den Essener Bürger*innen unzumutbar. Mit Spannung erwarten wir nun die komplette Kosten-Nutzen-Analyse. 

Fazit: 

Die unvollständige Verwaltungsvorlage erschwert eine informierte und verantwortbare Entscheidung und suggeriert einen Spielraum, den es nicht gibt. Es gar nicht zu versuchen, eine Erwärmung um mehr als 1,5 Grad Celsius mit allen Mitteln zu verhindern, halten wir für unethisch und verantwortungslos.

Wir gehen jedoch davon aus, dass die Ratsfrauen und -herren sich ihrer Verantwortung bewusst sind und alles tun werden, um lebensbedrohliche und finanzielle Risiken von den Menschen in Essen abzuwenden. 

Wir fordern die Fraktionen auf, die Ratssitzung am 25. August 2021 zu nutzen, um jetzt für unverzichtbaren Klimaschutz einzustehen. Dabei bauen wir vor allem auf diejenigen Parteien, die den KlimaEntscheid öffentlich unterstützen.

Wir erwarten ein Bekenntnis zum 1,5-Grad-Ziel, zur Zukunftsfähigkeit Essens und zur Sicherheit von uns Bürgerinnen und Bürgern. Konkret: eine schnelle Ergänzung des Papiers sowie den Beschluss, das städtische Klimakonzept im Hinblick auf das CO2e-Restbudget gemäß des 1,5-Grad Ziels, analog der Forderung „Essen Klimaneutral 2030!“ auszuarbeiten.

KlimaEntscheid Essen